This article has been published in the Austrian Monthly "Wiener Journal" in October 2001. It provides a comparative analysis of peace operations in the Balkans in the 1990s and their implications for the latest peace agreement for Macedonia.
Dieser Artikel erschien im Oktober 2001 in der Österreichischen Monatszeitschrift "Wiener Journal". Durch eine vergleichende Analyse der Friedensmissionen am Balkan in den 90ern werden die Implikationen für das jüngste Friedensabkommen für Mazedonien beleuchtet.

Von Dayton über Rambouillet nach Ohrid

Michael Jandl, 19.9.2001

Die oberflächige Parallelität der Friedensmissionen auf dem Balkan ist trügerisch.

Der Abschluss eines umfassenden Friedensabkommens zwischen verfeindeten Volksgruppen unter internationaler Vermittlung am Balkan scheint mittlerweile eine bekannte Routine für die Friedensmacher des Westens geworden zu sein. Doch ein Vergleich der Friedensmissionen in Bosnien und dem Kosovo mit Mazedonien zeigt die Besonderheiten der internationalen Intervention in Mazedonien.
 
1. Das Dayton Abkommen beendete das Schlachten in Bosnien nach mehr als 3 ½ Jahren Krieg und mehr als 250.000 Toten. Es kam erst nach einer bedeutenden militärischen Wende zugunsten der bosniakisch-kroatischen Föderation mit Hilfe eines zielgerichteten militärischen Eingreifens der NATO zustande. Die Konferenz von Rambouillet wiederum, die 1 Jahr bewaffneten Aufstand im Kosovo beenden sollte und selbst nur unter Androhung massiver NATO Luftangriffe zustande kam, scheiterte an der Sturheit von Slobodan Milosevic und führte in der Folge zur Durchsetzung der internationalen Forderungen auf militärischem Wege. Insgesamt forderte der Kosovokonflikt an die 15.000 Leben. Auch die Friedenskonferenz im mazedonischen Ohrid zur Beendigung eines 7 monatigen Aufstands albanischer Rebellen im Nordosten Mazedoniens kam nur unter massivem internationalen Druck zustande, wenn auch ohne militärische Interventionsdrohungen. Der Konflikt in Mazedonien forderte bisher zwischen 200 und 300 Tote.
2. Ein wichtiger Unterschied in der Beendigung dieser Konflikte bestand in der Gewichtung der internationalen Vermittler. Spielte die EU in Dayton selbst keine Rolle, saß sie in Rambouillet in der Form von EU-Chefverhandler Wolfgang Petritsch gleichberechtigt am Verhandlungstisch und übernahm in Ohrid (in der Gestalt von François Léotard und Javier Solana) sogar eine führende Rolle. Doch wird die EU letztendlich genug Gewicht haben, ein Wiederaufflammen der Gewalt zu verhindern? Mehr noch als in Bosnien (wo die EU tragisch scheiterte) steht in Mazedonien auch die Glaubwürdigkeit der EU als ernstzunehmender außenpolitischer Akteur auf dem Spiel.
3. Das Resultat der Friedensverhandlungen in Dayton ist ein umfassender Friedensvertrag, der seitdem als “Verfassungsgrundlage” Bosniens dient und zur Stationierung von zunächst 60.000 IFOR Truppen führte. Was die Friedenskonferenz von Rambouillet nicht erreichen konnte wurde daraufhin durch die militärische Intervention der NATO erzwungen, nämlich der Rückzug der serbischen Sicherheitskräfte und die Stationierung einer 46.000 Mann starken KFOR Truppe, sanktioniert durch UNO Resolution 1244. Im Vergleich dazu sah der Friedensplan von Ohrid nur ein sehr bescheidenes Mandat einer internationalen Truppe vor – eben jene 3.500 NATO Soldaten, die als “Task Force Harvest” (TFH) die Entwaffnung der UCK auf freiwilliger Basis innerhalb von 30 Tagen abschließen sollten. Wie immer die nachfolgende internationale “Präsenz” aussehen wird, sie wird jedenfalls einige Dimensionen kleiner als das internationale Engagement in Bosnien und dem Kosovo sein. Das aber heißt: Im Ernstfall können sich die Rebellen jederzeit aus dem Zivilleben wieder in die Berge begeben, selbst wenn eine “bedeutende” Anzahl ihrer Waffen eingesammelt wurde, während die Aufrüstung auf slawischer Seite ohnehin ungehindert weitergehen kann – durch staatliche und  paramilitärische Gruppen mit so martialischen Namen wie “Tiger”, “Skorpione” oder “Löwen”.
4. Der größte Unterschied in den Friedensprozessen in Bosnien, dem Kosovo und Mazedonien liegt aber in der inneren Kohärenz der Streitparteien. Nach 3 ½ Jahren Krieg in Bosnien hatten sich die Fronten verhärtet und das Land war in 3 feindliche nationalistische Lager gespalten. Im Kosovo war die albanische Bevölkerung geschlossen hinter ihrer Führung vereint, zuerst friedlich, dann gewalttätig für die nationale Sache einzutreten, während auf serbischer Seite die Diktatur Milosevics die innere Opposition an die Wand drückte. In Mazedonien ist die slawische Seite – schon mit Blick auf die nächsten Wahlen Anfang 2002 – tief gespalten, während das Spektrum auf albanischer Seite von den moderaten politischen Parteien über eine angeblich kooperationswillige UCK bis zu einer neuen radikalen Rebellengruppierung (Albanische Nationalarmee, ANA) reicht.
5. Aus der inneren Kohärenz der Streitparteien ergibt sich auch ob und für wen die Vertragsbedingungen annehmbar sind und in welcher Form sie umgesetzt werden. In Bosnien gelingt das trotz hoher ethno-politischer Kohärenz innerhalb der drei ethnischen Gruppen und massivem internationalen Einsatz nach wie vor nur mehr schlecht als recht, im Kosovo bisher gar nicht (Rückkehr der serbischen Flüchtlinge). Dem gemäß stehen in Mazedonien alle Zeichen auf Sturm: Das Amnestieangebot an die Rebellen wurde nur vom gemäßigten Präsidenten Trajkovski gemacht, eine Reihe von slawisch-nationalistischen Abgeordneten stellten sich offen gegen das Friedensabkommen, einzelne Rebellenführer kündigten an, ihre Waffen nicht abzugeben u.s.w.

Aus all dem ergeben sich mehrere Anhaltspunkte für die jüngste Balkan Friedensmission: Die “internationale Präsenz” in Mazedonien ist sowohl in ihrer Stärke als auch in ihrem Mandat zu schwach um eine Friedenslösung erzwingen zu können. Es hängt also vom Willen der Streitparteien selbst ab, ob das Abkommen umgesetzt wird. Während die albanische Seite ihre Forderungen im Friedensplan von Ohrid ausreichend erfüllt sieht, gehen die Zugeständnisse vielen Slawo-Mazedoniern zu weit. Die eigentliche Umsetzung des Rahmenabkommens endet ja nicht mit dem Einsammeln der Waffen der Aufständischen, sondern sie beginnt erst: 45 Tage nach Unterzeichnung sollten die Verfassungsänderungen vom Parlament angenommen sein, noch im Oktober 2001 sollte ein neuer Zensus durchgeführt werden, bis Juli 2002 sollten 500 zusätzliche albanische Polizisten ausgebildet und eingestellt werden, eine repräsentative Quote albanischer Polizeikräfte sollte schließlich bis 2004 erreicht werden. Zeit genug also, das Friedensabkommen zu blockieren oder durch extremistische Aktionen aus der Bahn zu werfen. Dass das nicht passiert, wird vor allem Aufgabe einer neuen EU Außenpolitik sein, denn die USA werden ihre sicherheitspolitischen Prioritäten nach den verheerenden Terroranschlägen im eigenen Land in Zukunft ganz woanders setzen. Bleibt nur die Hoffnung, dass dieses Mal die “Stunde Europas” gekommen ist, denn die Alternative wäre wieder einmal Krieg am Balkan.

Dr. Michael Jandl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa in Wien.



This article has been published in the Austrian Monthly "Wiener Journal" in October 2001. It provides a comparative analysis of peace operations in the Balkans in the 1990s and their implications for the latest peace agreement for Macedonia.
Dieser Artikel erschien im Oktober 2001 in der Österreichischen Monatszeitschrift "Wiener Journal". Durch eine vergleichende Analyse der Friedensmissionen am Balkan in den 90ern werden die Implikationen für das jüngste Friedensabkommen für Mazedonien beleuchtet.


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