This article has been written after the parliamentary elections in Georgia in November 2003. As an election monitor, I witnessed massive levels of fraud and manipulation. For pictures of that mission click here.
Dieser Artikel beleuchtet meine Erfahrungen als Wahlbeobachter bei den Parlamentswahlen in Georgien im November 2003. Im Laufe des Wahltages beobachteten wir massiven Wahlbetrug und Wahlmanipulationen. Für Bilder von der Wahlbeobachtungsmission bitte hier klicken.


Georgien: Wählen für die „1“
Von Michael Jandl

Bei den Parlamentswahlen am 2. November in  Georgien bescheinigte die OSZE dem Lande einen „Mangel an kollektiven politischen Willen“ zur ordnungsgemäßen Durchführen der Wahlen. Ein österreichischer Wahlbeobachter schildert seine Eindrücke.

Bereits die Erfahrungen der letzten Jahre mit Wahlen in der 4,5 Millionen Einwohner zählenden kaukasischen Republik Georgien ließen nichts Gutes erwarten. Die OSZE, die bereits die Parlamentswahlen 1999 als nicht den internationalen Standards entsprechend kritisiert hatte, hatte noch im Jahr 2000, nach der Beobachtung der Präsidentschaftswahlen gemahnt: „Bedeutender Fortschritt ist noch notwendig, damit Georgien seine Verpflichtungen als Mitgliedsstaat der OSZE voll erfüllen kann“.

Doch schon im Vorfeld der Wahlen 2003 zeichnete sich ab, dass dieser Fortschritt kaum realisiert werden dürfte: Einseitige Dominanz der Regierungspartei in den Medien, ungleiche Verteilung der verfügbaren Mittel für den Wahlkampf und der Ausschluss von politischen Oppositionskandidaten von der Kandidatur auf der Grundlage dubioser Beschuldigungen warfen bereits lange vor dem Wahltag ihre Schatten voraus. Schließlich die Groteske um die Wählerlisten: Die  mit amerikanischen Geldern unterstützte Erstellung von computerisierten Wählerlisten wurde drei Tage vor der Wahl wegen Unzulänglichkeiten eingestellt, man griff auf die handgeschriebenen Listen zurück. Viele erboste Stimmbürger fanden sich darin am Wahltag nicht wieder, behaupteten aber gleichzeitig die Namen von anderen, längst abgewanderten oder verstorbenen „Einwohnern“ in der Liste zu erkennen (in den letzten 15 Jahren wanderten etwa eine Million der ursprünglich 5,4 Millionen Einwohner ins Ausland ab).

Der Boden war also aufbereitet um das Resultat massiv zu Gunsten des Regierungsblocks zu beeinflussen. Das tatsächliche Ausmaß der Unregelmäßigkeiten bis hin zu offensichtlichem Wahlbetrug übertraf meine Erwartungen aber bei Weitem. Nun ist es keineswegs so, dass meine eigenen Eindrücke als repräsentativ für die gesamten Wahlen gesehen werden dürfen. Sie geben ja notwendigerweise nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Wahlprozesses in einer geographisch beschränkten Region wider. Insgesamt setzte die OSZE diesmal die rekordverdächtige (weil sonst nur bei Wahlen in Südosteuropa übliche) Anzahl von 450 internationalen Kurzzeitbeobachtern ein. Österreich war mit 11 Beobachtern dabei stark vertreten. Gemäß der OSZE Standardmethode arbeiteten die Beobachter in internationalen Zweierteams mit einem lokalen Fahrer und einem lokalen Übersetzer. Pro Team konnten etwa zehn Wahlstationen am Wahltag besucht werden, was bei insgesamt 200 Beobachterteams die Mehrzahl der Wahlstationen abdeckte.

Offiziell relevant ist also nicht der einzelne Eindruck, sondern die Gesamtbeurteilung der OSZE Beobachtermission zu den Wahlen auf Grundlage aller Wahlbeobachterberichte. Und diese sprach in der ersten Pressekonferenz am Tag nach den Wahlen von der Verletzung zahlreicher internationaler Standards. Zwei Regionen wurden dabei wegen „schwerwiegender Verstöße“ als besonders problematisch hervorgehoben: Die Region Kwemo Kartli südlich von Tiflis, sowie die autonome Region Adscharien im Südwesten Georgiens. Zusammenfassend für ganz Georgien formulierte die OSZE Beobachtermission aber vorsichtig zurückhaltend: „Die Unregelmäßigkeiten und Verzögerungen am Wahltag reflektieren einen Mangel an kollektivem politischen Willen und administrativer Kapazität für das Durchführen der Wahlen“.

Dieser Gesamtbeurteilung möchte ich auf Grundlage meiner Einzelbeobachtungen also keinesfalls widersprechen. Tatsache ist, dass ich, zusammen mit meinem israelischen Teampartner und zwei weiteren Beobachterteams eben genau in einer jener Regionen eingesetzt war – nämlich in Kwemo Kartli – bei der die OSZE „schwerwiegende Verstöße“ feststellte.

Im georgischen Gesamtkontext ist Kwemo Kartli, etwa eine Autostunde südlich der Hauptstadt Tiflis, durchwegs durch einige regionale Besonderheiten ausgezeichnet. Der Distrikt wird mehrheitlich der Azerischen Minderheit zugerechnet (Gesamtbevölkerung an der Bevölkerung Georgiens 6,5 %), daneben gibt es aber auch griechische, russische und andere Minderheiten in dem Gebiet, das direkt an Armenien und Aserbeidschan grenzt. Seitdem Präsident Schewardnadse Anfang der 90er gewalttätige Übergriffe durch georgische Nationalisten gestoppt hatte gilt er für viele Azeris als das geringere Übel. Daneben kursiert in der Bevölkerung auch die Angst vor einem zweiten „Nagorno-Karabach“, also ein bewaffneter Konflikt zwischen Armeniern und Azeris auch in ihrer Region. Sympathien für den Präsidenten und seinen Wahlblock „Für ein Neues Georgien“ bringt hier auch die demonstrative Freundschaft Schewardnadses mit dem Präsidenten des benachbarten Azerbaidschan, denn die Azeris Georgiens blicken politisch und wirtschaftlich genauso nach Baku wie nach Tiflis.

Ein ernstes Problem für die Azerische Bevölkerung Georgiens (wie auch für viele andere der über 90 Minderheiten Georgiens, die zusammen 16 % der Bevölkerung ausmachen) liegt in der Tatsache, dass kaum jemand von ihnen die Staatssprache Georgisch spricht, noch das einzigartige georgische Alphabet entziffern kann. In der Praxis heißt das, dass die Azeris der Region weder georgisches Fernsehen sehen, noch Zeitungen, Wahlplakate oder selbst die Stimmzettel lesen können. In dieser Situation wiegt die eindringliche Kampagne des lokalen Parteiapparates, der hier zugleich auch die Lokalverwaltung stellt, die erstgelistete Partei (gekennzeichnet durch die arabische Zahl „1“) zu wählen, natürlich doppelt schwer.

Es war dann auch genau dieser lokale Parteiapparat, der rund um die Wahlen massiv in Erscheinung trat. Die Wahlkommissionen, in westlichen Staaten durch Vertreter verschiedener Parteien oder von Unabhängigen besetzt, waren fast ausschließlich durch loyale Vertreter des Regierungsblocks dominiert. Vertreter von Oppositionsparteien und von unabhängigen lokalen NGOs wurden massiv eingeschüchtert und an den Rand des Wahlgeschehens verbannt, selbst wenn sie als Kommissionsmitglieder oder Wahlbeobachter akkreditiert waren. Gleichzeitig hielten sich oft gleich mehrere unautorisierte Personen in den Räumlichkeiten der Wahllokale auf und dirigierten ganz offensichtlich die Handlungen der Kommission wie auch der Wähler.

In keiner der sieben Wahlstationen, die wir am Wahltag besuchten, war das „Wahlgeheimnis“ gegeben. Das Wahlgesetz sah vor, dass die Stimmzettel nach (!) der Markierung noch einmal auf der Rückseite von einem Kommissionsmitglied abgestempelt werden mussten, was dem eifrigen Stempler natürlich Gelegenheit gab jeden einzelnen Stimmzettel ausgiebig zu inspizieren. Das Ankreuzen des Stimmzettels fand in den meisten Wahllokalen in einem Nebenraum statt, ohne Wahlzellen und oft mit mehreren anwesenden Personen, die angeblich nur der „Beratung“ der unkundigen Wähler(innen) dienten.

Bei genauerer Beobachtung fiel auf, dass Kommissionsmitglieder zum Teil Stimmzettel selbst ausfüllten, Ausweise nicht kontrollierten, mehrere Stimmzettel für Familienmitglieder an eine Person aushändigten, genaue Instruktionen erteilten wie und wer zu wählen sei und vieles andere mehr. In zwei Wahllokalen entdeckten wir Listen, die der zeitlichen Koordinierung der Ankunft von Bussen dienten, mutmaßlich von Wählern, die hintereinander zu mehreren Wahlstationen gebracht wurden um dort nochmals zu wählen. In drei verschiedenen Wahlstationen deckten wir das Fehlen einer beträchtlichen Anzahl von Stimmzettel auf (während wir von anderen Beobachtern hörten, dass sich in einer anderen Wahlstation kurz nach Eröffnung bereits eine unwahrscheinlich hohe Zahl von Stimmzettel in der Urne befunden hatten).

Das hohe Ausmaß dieser und anderer systematischen „Unregelmäßigkeiten“ ist natürlich nicht nur einigen internationalen Wahlbeobachterteams aufgefallen, sondern auch den mutigen jungen Wahlbeobachtern zweier unabhängiger lokaler NGOs („Verein der Jungen Anwälte Georgiens“ und „Koalition für Faire Wahlen“). Diese saßen meist unbeeindruckt von schweren Einschüchterungsversuchen als lokale Beobachter am Rande der Wahllokale und feilten bereits am Text ihrer Wahlbeschwerden und Anfechtungen. Aufgefallen sind die Manipulationen aber natürlich auch der Opposition, die bereits am Tag nach der Wahl zu Massenprotesten aufrief und seitdem voll auf den Druck der Straße setzt um Schewardnadse zum Einlenken zu bewegen.

Unter Druck ist der zunehmend autoritär regierende Präsident, ehemals Liebkind des Westens, inzwischen auch international geraten, zu groß waren die Manipulationen. Zumindest in einigen Distrikten könnte die Wahl wiederholt werden. Dennoch stehen die Chancen des  Präsidenten wieder eine freundliche parlamentarische Mehrheit hinter sich zu versammeln nicht so schlecht. Immerhin konnte er sich auch 2002, nach dem Zerbrechen seiner alten Partei in mehrere Lager, schnell wieder eine neue Mehrheit sichern, indem er ehemalige Oppositionsparteien in einen neuen Regierungsblock („Für ein Neues Georgien“) integrierte. Das dürfte auch diesmal sein Plan sein - vorausgesetzt er übersteht die heftigen Proteste der Straße.

Wien, 15.11.2003



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