Erinnern an die Opfer der Nationalsozialistischen Gewalt, Villach / Kärnten


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"Sie lebten nicht namenlos und starben nicht ehrlos"
Univ.-Prof. Dr. Peter Gstettner

Peter GstettnerAls Pädagoge und Erziehungswissenschafter möchte ich mich in meiner Ansprache insbesondere an die Jugend wenden, die dieses Mahnmal errichtet hat. Die Jugend, die von rechter Seite oft als erste Generation der "Umerzogenen" geschmäht wird, die Jugend, die von konservativer Seite oft wegen der "Gnade der späten Geburt" von jeder Verantwortung für die Vergangenheit freigesprochen wird, diese Jugend und ihre Erziehergeneration sind es, die als "Nachgeborene" heute Erinnerungsarbeit machen. Diese beiden Nachkriegsgenerationen geben sich mit den Beschönigungen, Verdrängungen und Verdrehungen der Geschichte nicht mehr zufrieden. In diesem Sinne erinnert Villachs Jugend mit diesem Mahnmal an die verdrängte Geschichte jener Frauen und Männer, die gegen Hitlers Vernichtungsfeldzug aufgetreten sind, die die Nazi-Ideologie des Rassenwahns bekämpft haben, die den Widerstand und die Partisanen unterstützt haben, die unter großen persönlichen Gefahren Nazi-Opfern und Verfolgten geholfen haben. Wenn es uns Nachgeborenen auch nicht zusteht, über diese Zeit Urteile zu fällen, Wertungen dürfen und müssen wir vornehmen. Deshalb möchte ich sagen, daß wir dieser Männer und Frauen gedenken und ihnen danken, weil sie jene Menschen waren, die bis zu ihrem Ende urmenschliche Tugenden gezeigt haben, die im eigentlichen und ursprünglichen Sinn "Opfer" waren und solche für die Befreiung Österreichs brachten. Ihr Widerstand hatte nur ein Ziel, nämlich dem ideologischen und physischen Nazi-Terror zu widerstehen. Daß diese Menschen uns heute Vorbild sein können, darf Pädagogik und Politik nicht gleichgültig sein.

Viele waren es nicht, die sich damals für Juden, Sinti und Roma, Slowenen, Behinderte und andere verfolgte Gruppen eingesetzt haben. Keinesfalls war es die Mehrheit der Kärntner Bevölkerung, die sich deutlich gegen die Nazis gestellt hat. Ich bin mir nicht sicher, ob es heute so ganz anders wäre. Dennoch gibt es Anzeichen für die Hoffnung, daß Rassenhaß, Nationalismus und Rechtsextremismus heute nicht mehr so leicht und so breit in die Köpfe und Herzen der Menschen einzudringen vermögen wie anno dazumal. Auch dazu leisten die Villacher SchülerInnen mit diesem Mahnmal einen wichtigen Beitrag, nämlich einen Beitrag zur Aufklärung der Kärntner Bevölkerung über eine in Vergessenheit geratene Tradition; ich meine damit die unpopuläre Tradition des Widerstandes und des kompromißlosen Einsatzes für Recht und Gerechtigkeit. In dieser Woche wurde in Klagenfurt eine Ausstellung eröffnet, die unter ganz ähnlichen Zielsetzungen steht, nämlich an die verdrängte Geschichte der Leiden und Verbrechen in den beiden KZs am Loiblpaß zu erinnern. Ich lade alle VillacherInnen, und besonders auch die Kärntner Schuljugend, zum Besuch dieser Ausstellung ganz herzlich ein und möchte sie ermutigen, nicht davon abzulassen, die Aufarbeitung der verdrängten Kärntner Geschichte zu fordern und zu betreiben.

Die überlebenden ehemaligen KZ-Häftlinge vom Loiblpaß, die zuvor schon im KZ Mauthausen erfahren mußten, wozu SS und Nazi-Schergen fähig sind, erzählten uns auch von jenen Erlebnissen, die zu den "Ersteindrücken" aller KZ-Häftlinge gehören: Einer der ersten Schritte zur Erniedrigung und Entmenschlichung der Häftlinge war die Vergabe von Nummern, die an der Häflingskleidung angebracht werden mußten und die im Unterarm eintätowiert wurden. Nummern statt Namen - der erste Schritt zur Auslöschung der Identität. Diese Nummern mußten in den ersten Tagen "in Fleisch und Blut" übergehen; die Häftlinge mußten sie auswendig lernen und, egal welcher Nation sie angehörten, in deutscher Sprache auf Anhieb sagen können - oder es gab Prügel, Folter, Totschlag. Die ehemaligen Häftlinge erzählen auch, daß sie gegenüber den SS-Herrenmenschen niemals den Kopf heben und ihnen in die Augen schauen durften. Die Strategie der Nazis, die mit der Entrechtung und Entwürdigung von Menschen begann, die darauf abzielte, zunächst den Willen der Menschen zu brechen, dann ihre Seelen zu verletzen und zu martern, um schließlich auch ihre Körper zu vernichten, diese Strategie endete in der massenhaften und planmäßigen Ermordung von Hunderttausenden, ja von mehreren Millionen Menschen. Diese Verbrechen gelten heute noch, mehr als 50 Jahre danach, schlechthin als "unfaßbar"; weshalb ich sie erwähne, ist auch der Umstand dieses ersten Schrittes, mit dem diese Vernichtungsmaschine zu arbeiten begann: Nummern statt Namen. Wenn wir heute mit diesem Mahnmal wieder Namen statt Nummern oder Nummern statt anonyme Gedenkformeln in Erinnerung rufen, dann ist dies ein erster wichtiger Schritt, vielleicht sogar die Voraussetzung zur Wiederherstellung von menschlicher Würde und Identität. Die Nazi-Opfer hatten ja tatsächlich Namen, hatten ehrbare Namen und ein würdevolles Leben, bis ihnen beides geraubt wurde. Ein Sozialwissenschafter hat einmal geschrieben, mit dem Raub der Sprache und des Namens fingen alle "legalen Morde" an. Unter diesem Raub können wir verstehen, jemandem seine Muttersprache zu verbieten, kritische Menschen mudtot zu machen oder ihre Bücher zu verbrennen oder ihnen eben "Nummern statt Namen" aufzuzwingen und einzubrennen
Die Entmenschlichung hat ihre Systematik und es ist wichtig, daran zu erinnern und zu erkennen, daß es Anzeichen und Vorzeichen dafür gibt, wann ein System zum Verbrechens- und Mordbetrieb wird. Wir können heute, 50 Jahre danach, nichts "wiedergutmachen", nicht nur, weil die Verbrechen so groß und "unfaßbar" waren, sondern weil uns Nachgeborene keine persönliche Schuld daran trifft. Aber gerade deshalb ergibt sich daraus eine Verpflichtung, nämlich die Schweigetabus der Gesellschaft zu brechen und verdrängte Geschichte wieder in Erinnerung zu rufen; und diese Geschichte ist, auf beiden Seiten, bei den Tätern wie bei den Opfern, nicht anonym zu schreiben.

Diese Geschichte ist nicht mystisch und nicht voll von unerklärlichen, unbenennbaren menschlichen Tragödien. Die Nazi-Zeit bestand nicht aus "Tragödien", sondern aus konkreten Verbrechen. Nur auf dem Wege dieser ehrlichen "Nüchternheit" können Recht und Gerechtigkeit wieder Maßstäbe der wertenden Geschichtsbetrachtung werden, nur wenn wir "Namen statt Nummern" setzen und erinnern, nur wenn wir an unbegriffene Tragödien mahnen, nur dann können wir Menschen bewegen, sensibel machen, und nur dann können wir auf Widerstand gegen Unrechtssysteme bauen bzw. hoffen.

Ansprache gehalten bei der Enthüllung des mobilen Denkmals der Namen (1995)

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